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Interview mit dem Rebsortenkundler und Biologen Andreas Jung (Wir danken Herrn Jung für die Erlaubnis zum Abdruck des Interviews)
- Sie arbeiten an dem Projekt zur "Erfassung von Rebengenetischen Ressourcen in Deutschland". Was ist das Ziel dieses Projektes?

Noch 1875 konnte man in Deutschland aus über 400 traditionellen Rebsorten auswählen. Davon sind heute gerade noch 27 Sorten im Anbau. Letzte Reste dieser einstigen Sortenvielfalt überleben in den 6 deutschen Rebsortimenten. Doch die einstige Klonvielfalt ist auf eine Handvoll Stöcke geschrumpft. Ziel des Projekts ist es deshalb, die genetische Basis dieser früher bei uns heimischen, aber im 20. Jahrhundert vernachlässigten Traditionsrebsorten wieder zu erweitern und über Jahrhunderte entwickelte Klonvielfalt für zukünftige Generationen zu bewahren. Innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren sollen bundesweit alte wurzelechte Weinberge mit traditionellen Rebsorten aufgespürt und wissenschaftlich inventarisiert werden. Die erhobenen Daten sollen als Grundlage für die Konzeption und Etablierung nachhaltiger Erhaltungsmaßnahmen dienen.

- Wie und wo entdecken Sie die alten Rebbestände bzw. die rebengenetischen Ressourcen?

Alte Rebsorten findet man in Deutschland nur noch in alten Weingärten. Am wertvollsten sind solche Weinberge, die vor dem II. Weltkrieg angelegt wurden und noch wurzelecht gepflanzt sind. Diese enthalten zumeist noch die von den Großvätern geschätzten Sorten in ursprünglicher Klonvielfalt. Sie sind letzte Refugien für kulturhistorisch bedeutsame Traditionsrebsorten und eine Schatzkammer für standorterprobte Klonvielfalt. Solche Weinberge gilt es bundesweit zu finden. Wir sind dabei auf die Unterstützung der Medien, der Weinbauverbände und der staatlichen Institutionen angewiesen. Vor allem aber benötigen wir die aktive Mithilfe der Winzer und Weinbergsbesitzer. Je mehr alte Weinberge bei uns gemeldet werden, desto mehr alte Sorten und Klone können gerettet werden. Sofern gewünscht, können persönliche Daten auch geschützt werden. Wichtig ist, dass die Weinberge gefunden und inventarisiert werden.

- Bei ihrer quasi archäologischen Arbeit: Welche spannenden Entdeckungen konnten Sie bereits machen?

Alte Weinberge sind ein Spiegel der Vergangenheit und Denkmäler des historischen Weinbaus. Allein an der Badischen Bergstrasse haben über 60 alte Rebsorten überlebt, darunter die bereits ausgestorben geglaubten Rebsorten Fütterer und Kleinedel. Vom schwarzen Zinfandel wusste man vorher gar nicht, dass er jemals in Deutschland angebaut wurde. In Württemberg wurden Blauer Jacobin und Blauer Scheuchner entdeckt. In Franken gibt es in alten Silvaner-Anlagen noch eine Reihe bisher verschollener Sorten wie
Adelfränkisch, Kleinweiß, Ahorntraube, Süßschwarz und das Möhrchen. Die nicht klassifizierte Sorte Blauer Elbling ist in den alten Weingärten bei Heidelberg noch die zweithäufigste Rebsorte nach Riesling. Sie wurde jetzt auch am Neckar und in Hessen gefunden. Das sollte zu denken geben.

- Bei der Erfassung alter Rebsorten: Welchen Wert haben Ihre Erfahrungen für Winzer und Weinliebhaber?

Es gibt starke Indizien, dass der kalifornische Zinfandel(= Primitivo) mit dem elsässischen Schawernac des 13. Jahrhundert identisch ist. Damals hatten wir eine klimatische Warmphase, die Weinbau sogar in Schottland und an der Ostsee ermöglichte. Danach kamen 300 Jahre Kleine Eiszeit, in der die Sorten gnadenlos auf Frosthärte geprüft wurden. Dies erklärt den hohen Anteil von mährisch- ungarischen Sorten unter den mitteleuropäischen Traditionsrebsorten. Die oft nicht ausreichend frostharten orientalischen und mediterranen Sorten sind einfach erfroren. Angesichts der unvermeidbaren Klimaerwärmung werden spät reifende, säurebetonte Sorten wieder neuen Aufschwung erleben. Niemand will nur Zuckerwasser trinken. Im Gegensatz zu mediterranen Sortenimporten steht für unsere historischen Sorten fest, dass sie seit Jahrhunderten standorterprobt sind. Sie haben die Klimaschwankungen der Vergangenheit erfolgreich überstanden. Jedenfalls sehe ich keinen Grund, süditalienische Klone von Primitivo zu importieren,
wenn man fruchtbare, virusfreie und gesunde Klone vor der Haustür in Heidelberg finden kann. Dieses Projekt soll beitragen, vernachlässigte Traditionssorten in der notwendigen, noch verfügbaren Klonvielfalt zu erhalten.

- Was würde Sie sich wünschen im Umgang mit dem Wissen um traditionsreiche Rebsorten?

Wir reden hier über Sorten die teils über 1000 Jahre alt sind und bis zur Reblauskrise in ganz Mitteleuropa verbreitet waren. Der gemischte Rebsatz war die Versicherung des Winzers gegen die Unbill des Wetters. Erst mit dem Auftauchen der Reblaus wurden reblausverseuchte Weinbergsflächen im großen Stil gerodet und einheitlich mit Pfropfreben einer einzigen Rebsorte gepflanzt. Die Zahl der angebotenen Rebsorten und Klone wurde dabei auf eine für Züchter und Rebschulen praktikable Größenordnung reduziert.
Seither ist ein Jahrhundert vergangen. Das Wissen um die damaligen Rebsorten ist in der Fachwelt nur noch fragmentarisch vorhanden. Die einstige Bedeutung vieler historischer Sorten wird völlig verkannt. Kleinweiße und Honigler sind in Ungarn hochangesehene Weißweinsorten. Der rote Hans (Roter Mährer)gehörte wie Traminer und Ruländer zur mittelalterlichen Gruppe der Mausgrauen (Gris Rouges). Er war eine geschätzte Rebsorte nicht nur in Franken, Württemberg und im Rheintal, sondern auch im Wallis, in den Karpaten und in Ungarn. Unter trockenkontinentalen Klimabedingungen sind diese Sorten bestens für Süßweine geeignet. Der nun wiederentdeckte Adelfränkisch gehörte wie Sauvignon blanc (= Riesling von Würzburg) in die mittelalterliche Gruppe der Grünfränkischen. Wie Fütterer ähnelt er dem Weissen Traminer und dürfte einfach übersehen worden sein. Die frostresistente Tauberschwarze lässt sich nicht nur im winterkalten Taubertal und in Franken nachweisen, sondern war von Schlesien bis nach Nordungarn und in Slowenien verbreitet. Zinfandel dürfte im Mittelalter eine große Rolle bei der Rotweinproduktion im Rheintal und in Ungarn gespielt haben. Hinter den meisten Synonymen des Spätburgunders verbergen sich eigenständige, im französischen Jura und Süddeutschland aber auch in Mähren und Slowenien verbreitete Sorten. Darunter sind echter Arbst (=Cot), das Möhrchen, die Dickschwarze (=Trousseau), Früher Clävner (=Durif) und Süßschwarz (=Béclan). Diese Qualitätssorten dürften dem Spätburgunder in nichts nachstehen. Das ausgestorben geglaubte Wiener Möhrchen war Hauptbestandteil der berühmten Kallstadter Rotweine. Die Weine der Vergangenheit waren immer lokal variierende Gemische aus mehreren, oft ähnlichen Sorten, die wir heute teils nicht einmal mehr vom Namen her kennen. Ob diese komplexen Weine schlechter schmeckten als die heutigen sortenreinen Weine?

- Sehen Sie eine Zukunft für vergessene oder ausgestorbene Rebsorten, vor allem in einer Zeit, in der autochthone Sorten eine Renaissance erleben?

Ja unbedingt. Die Sortenvielfalt im 3-Generationen Weinberg war ja die Antwort auf fluktuierende Klimaphasen. Seit 1850 erwärmt sich das Klima stetig und wir nähern uns Bedingungen, wie wir sie im Hochmittelalter schon einmal hatten. Von einer Renaissance historischer Sorten kann jedoch noch keine Rede sein. Wenn heute in Italien eine alte Regionalsorte gefunden wird, ist sie morgen bereits auf dem Markt. In Deutschland wird das Sortenspektrum immer noch künstlich eingeengt. Das liegt am Deutschen
Weinrecht, das vorschreibt, dass nur zertifiziertes Pflanzgut von klassifizierten Qualitätssorten angebaut werden darf. Aber 70 % der Traditionssorten sind ja nie klassifiziert worden. Sie dürfen nur im behördlich genehmigten Anbauversuch unter züchterischer Betreuung angebaut werden. Der Versuchsanbau ist mit Auflagen verbunden und zeitlich befristet. Zu jeder historischen Sorte muss eine Vergleichssorte gepflanzt werden. Für den idealistischen Winzer ist dies mit zusätzlichem Aufwand und unnötigen Mehrkosten verbunden. Der Wein wird mit dem Stempel „Aus Versuchsweinbau“ abklassifiziert. Zweites Problem: für historische Sorten gibt es kein zertifiziertes Zuchtmaterial, denn sie wurden ja nie erhaltungszüchterisch bearbeitet. Alle historischen Sorten werden weinrechtlich wie Neuzüchtungen behandelt. Ein Zulassungsverfahren mit Anbaueignungsprüfung dauert mindestens 15 Jahre, danach müssen hohe jährliche Kontrollgebühren entrichtet werden. Aber im Gegensatz zu Neuzüchtungen kann ein Sortenschutz auf historische Sorten nicht erworben werden. Um Qualitätspflanzgut zu produzieren, müssen behördlich kontrollierte Erhaltungs- und Vermehrungsanlagen aufgebaut werden, die regelmäßig auf Virosen zu testen sind. Da es meist nicht um große Anbauflächen geht, ist der zu erwartende Verdienst des Züchters aus den Pauschalen am Verkauf der Pfropfreben marginal und nicht kostendeckend. Alte Sorten neu aufzubauen ist in Deutschland überreguliert, unwirtschaftlich und mit hohem Zeitaufwand verbunden. Gewonnen hat man am Ende nur, dass die Sorte ohne Auflagen angebaut und ihr Wein vermarktet werden darf. Dies wäre viel einfacher durch einen einfachen Verwaltungsakt umzusetzen. Man muss ja nur die Landeslisten der für den Anbau zugelassenen Sorten um die historischen Sorten ergänzen. Hessen hat es vorgemacht. Dort sind Heunisch, Orleans und andere für die Produktion von Qualitätsweinen bereits zugelassen. Im Wallis werden die alten Landsorten in züchterisch kontrollierten Klongemischen angebaut. Erhaltung der Sorten- und Klonvielfalt durch praktischen Anbau war schon immer das beste Erhaltungskonzept. Wenn man die alten Sorten ohne Auflagen für den Anbau in Deutschland frei geben würde, könnte jeder Winzer zum Erhalt von historischem Kulturgut beitragen, ohne dass es viel kosten würde. Grundlage hierfür aber ist, dass die Sorten- und Klonvielfalt in den noch vorhandenen alten Weinbergen möglichst vollständig erfasst wird. Es ist bereits 5 nach 12. Was jetzt nicht mehr aufgefunden wird, wird morgen für immer verloren sein. Deshalb unsere dringende Bitte: Helfen Sie uns, alte Rebsorten zu retten. Melden Sie uns die Existenz wurzelechter, vor 1950 gepflanzter Reben.
Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns. Besten Dank im Voraus.

ARGE Jung + Fischer GbR
Lerchenweg 7, D-97299 Zell am Main
Fon: 0931 / 304 998 0
Fax: 0931 / 304 998 10
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