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Die Urform des Riesling: Der „Rote Riesling“

Im Mittelalter standen roter und weißer Riesling im „gemischten Satz“ im gleichen Weinberg. Die autochtone (bodenbürtig, alteingesessen) rote Variante geriet aber langsam in Vergessenheit, denn sie ergibt „nur“ Weißwein. Vermutlich wurde ihre Verbreitung auch durch Vögel gebremst, die rote Beeren attraktiver finden und daher zuerst fressen. So gab es am Ende nur noch wenige Reben in alten Sortimenten Deutschlands und Österreichs. Das Fachgebiet Rebenzüchtung der Forschungsanstalt Geisenheim arbeitet seit 1991 an dem „Wiederbelebungs“-Projekt. Die Rebveredlung Antes veredelte schon 1996 mehrere „Pilotreben“, die - an geheimer Stelle gepflanzt - beobachtet wurden. Es dauerte dann Jahre bis in Geisenheim aus wenigen Ausgangsreben ausreichend gesundes Vermehrungsmaterial herangezogen war.

Der weiße Wein des roten Rieslings war schon in den ersten Tests voller im Geschmack als „normaler“ Riesling, etwas extraktreicher (2 g/L über weißem Riesling) und hatte ein intensiveres Aroma. Von einer kleinen Pilotanlage wurden in 2007 erste 250 kg Trauben geerntet und zum „Jungfernwein“ fertig ausgebaut. Die gefüllten 180 Flaschen wurden am 30.8.2008 beim Weinfest der Bergsträsser Winzer eG verkauft. Abgegeben wurde pro Kunde nur eine Flasche!

Alte Kulturpflanzen müssen der Nachwelt erhalten werden. Es gibt dafür mehrere Gründe, die alle auf dem „Erlebnispfad Wein und Stein“  in Heppenheim anschaulich gezeigt werden. Auf dem Heppenheimer Steinkopf sind in der Nähe einer Webcam alte Rebsorten mit ersten Trauben zu bewundern. Ziel des Weinbergs ist es, die genetische Vielfalt zu sichern (Agenda 21). Alte rote Rebsorten aus dem Mittelalter könnten zudem bei der weiteren  Klimaränderung überlegen sein, da sie wegen schützender roter Farbgrundstoffe in der Schale größerer Hitze besser trotzen als weiße. Durch spätere Reife bleiben sie auch länger gesund als heute übliche frühreife Sorten.

In der mittelalterlichen Warmzeit war es deutlich wärmer als heutzutage. Damals war die Rebfläche in Deutschland mit 300.000 ha dreimal so groß wie heute und reichte bis zur Ostsee. Vermutlich gab es von jeder wichtigen Rebsorte Spielarten mit blauen, roten und weißen Beeren. Beim Burgunder sind heute noch alle drei Farben von Bedeutung als blauer Spätburgunder, als Grauburgunder und als Weißburgunder. Es gibt weißen und roten Traminer, grünen und blauen Silvaner oder auch roten und gelben Chardonnay. Der Erhalt dieser alten Sorten bietet also die charmante Chance, den Erhalt der genetischen Ressourcen mit den Anforderungen des Klimawandels und unserer mittelalterlichen Weingeschichte zu verknüpfen! Dies hat man an der Bergstrasse zunächst mit dem blauen Willbacher erfolgreich versucht, dann folgte der rote Riesling, dessen Anbau zunächst nur an der Bergstrasse und im Rheingau zugelassen ist. 2009 wurde eine dritte Sorte gepflanzt, die einst an der Bergstrasse Bedeutung hatte und unter anderem Namen heute sogar Weltruhm erlangt hat! Der Zinfandel!

In dieser Zeit lief in Deutschland ein dreijähriges Genprojekt, das zum Ziel hat, alte Sorten zu finden und für die Nachwelt zu sichern. Unter anderem wurden dabei an der südlichen Bergstrasse von Rebsortenkundler Andreas Jung, der diesen Bundesauftrag ausführte, weitere Entdeckungen gemacht. Das Projekt war vermutlich die letzte historische Chance, mittels „Rebsortenarchäologie“ Sorten vor dem Aussterben zu retten. Rund 350 Sorten wurden an historischen Stellen in Deutschland entdeckt. Darunter rund 100, die in keinem nationalen Erhaltungssortiment mehr standen, also verschollen waren und als vermutlich ausgestorben galten!

Auch im Ausland nahm man sich dieser Aufgabe an. So waren Andreas Jung und Reinhard Antes u.a. in der Region Grünberg (Polen), um im Auftrag dieser Stadt alte Sorten in Jahrzehnte lang verwilderten ehemaligen Weinbergen wiederzufinden.

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